Der „ausgefallene“ Saar-Riesling-Sommer 2020

 

„Wir kommen trotzdem!“, erklärten die „harten Vier“ des Weinvereins spontan, als im Frühjahr 2020 der diesjährige Saar-Riesling-Sommer Corona-bedingt abgesagt werden musste. Laura Diekert, die mit ihrem Mann Jörg das Weinhotel beim Weingut Peter Lauer betreibt, hörte dies natürlich gern. Mussten die freundlichen Gastgeber doch im Frühjahr in ihrem Hotel mit angeschlossenem Spitzenrestaurant zwei Monate auf Touristen verzichten. Inzwischen können sie ihre Gäste wieder mit hervorragenden Kreationen verwöhnen. Nachdem es in diesem Bericht ja eigentlich um Wein gehen soll, beschränke ich mich auf zwei Höhepunkte aus der Küche: eine weiße Tomatensuppe und ein ganz zartes Reh.

 

Der gastronomische Betrieb an der Saar läuft seit einigen Wochen unter strengen Bedingungen wieder an. Und so hatten am letzten August-Wochenende auch wieder zahlreiche Saar-Weingüter geöffnet. Mit besonderen, begrenzten Angeboten konnten die Winzer - trotz ausfallender Großveranstaltung - ihrer treuen Kundschaft endlich den aktuellen Jahrgang 2019 präsentieren.

 

Weingut Peter Lauer (Ayl)

 

Ein perfekter Start gelang beim Weingut Peter Lauer. Das Weingut ist seit einem Vereinsausflug 2010 eines der Lieblingsweingüter einiger Vereinsmitglieder. Dies wird sich nach der aktuellen Verkostung nicht ändern, bot doch Florian Lauer mit 20 Weinen und Cremants wieder ein beeindruckendes Sortiment. Im Flight 1 mit fünf trockenen Rieslingen aus 2019 überzeugte vor allem das Große Gewächs Kupp mit würziger Schiefer-Aromatik und feinen Grapefruitaromen.

 

Im trocken bis feinherb einzuordnenden Flight 2 ist zunächst der preisgünstige „Senior“ (Fass 6) zu erwähnen. Es ist nachvollziehbar, dass der Opa von Florian Lauer sich täglich eine Flasche seines Lieblingsweins gönnte. Feine Mandarinen-Noten umspielen die Schiefer-Mineralik und ergeben einen kippfreudigen Riesling. Ein weiterer Klassiker beim Weingut Lauer ist der Unterstenberg (Fass 12).  In der Spitzenlage Ayler Kupp profitiert der unterste Teil von der starken Verwitterung des höher gelegenen Schieferfelsens. Dadurch entstehen jedes Jahr spannungsgeladene Rieslinge mit rauchigen, besonders mineralischen Rieslingen.

 

Der feinherbe Flight 3 präsentiert mit dem „Alt Scheidt“ einen echten Saufwein im positiven Sinne. Moderat im Alkohol bereitet der Schmeichler mit zarten Aprikosen-Noten unbeschwerten Trinkgenuss. Der Kern (Fass 9) ist jedes Jahr eine Bank unter den feinherben Lauer-Weinen. Der Name geht auf den früheren Eigentümer, den Tabakfabrikanten Kern, zurück. Heute zaubert Florian Lauer aus den 70 Jahre alten Reben Weine mit intensiver Fruchtausprägung (tropische Früchte und Apfelnoten). Ein ungemein vielschichtiger Wein mit Vitalität und Frische.

 

Zum Abschluss im Flight 4 feinfruchtige Rieslinge und Cremants. Selbst notorische Trockentrinker kommen an dem 2018er Riesling „Grand Ayl“ nicht vorbei. Die Beschreibung Creme brulée trifft dabei den Nagel auf den Kopf. Intensive Karamell-Aromen und komplexe Früchte machen den Riesling zu einem absoluten Ausnahmewein. Für Stammkunden schenkt Florian Lauer außerhalb des normalen Programms noch einen Cremant aus 1992 aus. Diese Cremants lagern mehrere Jahrzehnte auf der Hefe und wurden erst kürzlich degorgiert. Während dieser Zeit entwickelt sich eine intensive und edle Aromatik nach Nüssen und Trockenfrüchten. Das Mousseux wird ganz fein und die Perlage im Glas gewinnt an Finesse. Ein ganz besonderes Geschmackserlebnis.

 

 

Weingut von Hövel (Oberemmel)

 

Am Eingang seines stattlichen Anwesens begrüßt der Eigentümer des Weinguts von Hövel, Max von Kunow, seine Besucher persönlich. Er erläutert den Corona-bedingten Ablauf mit Anmeldung, Tisch-Service und Hygiene-Konzept. Weiter punktet das Kommunikationstalent mit der Ankündigung, dass im Garten 60 – 70 Weine der Weingüter von Hövel und Reichsgraf von Kesselstatt probiert werden können. Dieses Format lässt interessante Parallel-Vergleiche zwischen beiden Betrieben zu.

 

Das Weingut von Hövel bietet zunächst das trockene Sortiment entlang der VDP-Pyramide an. Wenngleich die Stärken des Traditionsbetriebs im feinherben und fruchtsüßen Bereich liegen, finden auch Trockentrinker schöne Saar-Weine. Da ist zunächst im Gutswein-Bereich der frische Saar-Riesling Qualitätswein aus 2019. Ein animierender „Schüttwein“ mit schönen Apfel-Noten für den täglichen Einsatz. Noch einen Tick stärker empfiehlt sich der Saar Riesling Kabinett. Ein feinfruchtiger und ausgesprochen zarter Wein. Und damit ein Aushängeschild für trockenen Saar-Riesling im Basissegment.

 

In einer ganz anderen Liga spielt der 2019er Riesling Hörecker Große Lage. Die Monopollage des Weinguts von Hövel liegt neben dem Kanzemer Altenberg, der berühmten „Riesling-Wand“.

Mit seinen atemberaubenden Steilhängen und dem mineralischen Devonschiefer mit Eisenanteil ist er einer der spektakulärsten Lagen an der Saar. Die bis zu 130 Jahre alten Reben ergeben Rieslinge mit hoher Komplexität, Dichte und einem eleganten Frucht-/Säurespiel.

 

Bei den feinfruchtigen Rieslingen spielt von Hövel sein Lagenpotenzial voll aus. So besitzt Max von Kunow Flächen im Wiltinger Scharzhofberg, aus dem - vom Weingut Egon Müller - die weltweit teuersten Weißweine stammen. Weine aus dem Scharzhofberg besitzen eine unvergleichliche Dichte und Würze. Sie haben eine etwas rauchige, fast mystische Erhabenheit. Dieses Erlebnis findet man bei von Hövel im 2019er Kabinett, ein feiner Riesling mit viel Druck und komplexer Mineralität. Eine weitere Steigerung zeigt sich bei der Spätlese aus dieser Traumlage. Unbeschreibliche Symbiose aus Grapefruit, Kräutern und salziger Mineralität. Diese Rieslinge sollte sich kein Weinfreund entgehen lassen.

 

Mit der Oberemmeler Hütte verfügt das Weingut von Hövel über eine weitere Monopollage. Die 5,8 Hektar große Spitzenlage mit Devonschiefer bringt äußerst filigrane Rieslinge mit Noten nach Passionsfrucht und Kräutern hervor. In 2019 gelang ein faszinierender, leicht vibrierender Riesling aus der Hütte, der mit Karamellnoten jeden Genießer um den Finger wickelt.

 

Auch im Auslesebereich trumpft Max von Kunow groß auf. Highlights sind eine 2019er Auslese aus dem Scharzhofberg. Ein aristokratischer Riesling mit unheimlicher Eleganz. Danach noch gereifte 2-Sterne-Aulesen aus der Oberemmeler Hütte. Die 2007er Auslese und die 2005er Auslese Goldkapsel sind gereifte, aber noch ungemein frische Wunderwerke aus dem Raritätenkeller. Mit diesen hochkomplexen Fruchtbomben spielt von Hövel in der Spitzenliga der weltweit einzigartigen, fruchtsüßen Saar-Rieslinge mit.

 

Weingut Reichsgraf von Kesselstatt (Morscheid)

 

Gastwinzer im Weingut von Hövel war das Weingut Reichsgraf von Kesselstatt. Das Weingut ist besonders wegen seiner im 19. Jahrhundert aus ursprünglich klösterlichem Besitz erworbenen Spitzenlagen interessant.  Die Flächen verteilen sich über alle drei Teilregionen des Anbaugebiets Mosel, Saar und Ruwer. Mit 46 Hektar Rebfläche besitzt Kesselstatt ein unheimliches Lagen-Portfolio, das bei der Präsentation in allen Qualitätsstufen und Ausbauvarianten probiert werden konnte.

 

Im trockenen Bereich überzeugen vor allem die Großen Gewächse. An der Saar verfügt das VDP-Weingut - wie von Hövel - über Flächen im Wiltinger Scharzhofberg. Das 2018er GG betört durch feine Würze und ungemeinen Duck. Feine Noten nach Blutorange, Stachelbeere und etwas Feuerstein prägen das Geschmacksbild. Auf dem gleichen Level bewegt sich das GG von der Mosel. Dort besitzt Kesselstatt die Monopollage Graacher Josephshöfer. Der 2018er Riesling besticht durch Noten nach Karamell und molliger Frucht wie herbe Orange, Pfirsich und Aprikose.

 

Eine Stärke bei Kesselstatt sind sicherlich die feinherben und feinfruchtigen Rieslinge. Natürlich ragt auch hier wieder die Paradelage Scharzhofberger mit einem wunderbaren feinherben Kabinett heraus. Würzige Aromen nach Feuerstein und Cassis. Dichte und Eleganz mit einer wunderbaren Leichtigkeit. Auch die Ruwer hat mit dem Kabinett aus dem Kaseler Nieschen einen Vorzeige-Riesling zu bieten. Zarte Aromen nach Weinbergpfirsich und Schiefer. Ein sanfter Riesling mit schöner Ruwer-Typizität.

 

In der fruchtsüßen Auswahl überzeugt natürlich gleichfalls die Spätlese vom Scharzhofberg. Rauchige Nase mit komplexen Früchten. Am Gaumen folgen Aromen nach rotem Apfel.  Dann schlägt die Mosel mit der Spätlese aus dem Graacher Josephshöfer nochmals zu. Vielschichtige Aromen nach Aprikose und Orangenschalen dominieren. Dichte und frisches Süß-/Säure-Spiel.

 

Fazit: Natürlich konnte das Ersatzprogramm des Saar-Riesling-Sommers nicht den gleichen Gesamtüberblick über die Weinregion Saar bieten wie die „normalen“ Veranstaltungen der Vorjahre. Das konzentrierte Angebot auf weniger Weingüter und weniger Besucher ließ jedoch eine individuellere und intensivere Betreuung der Kunden zu. Weniger ist manchmal auch mehr. 

 

Degustationsbeschreibung von Manfred Beismann, August 2020