Saale-Unstrut: Weinkultur am 51. Breitengrad (August 2021)

 

Urlaub in Deutschland ist 2021 angesagt. Trotz großer Nachfrage muss man sich aber nicht unbedingt an Ostsee-Stränden drängeln. Selbst in der Hochsaison gibt es im Inland Regionen zu entdecken, in denen es angenehm ruhig und stressfrei zugeht. Bestes Beispiel: die Weinregion Saale-Unstrut. Der Weinbau an Saale-Unstrut hat eine über 1000jährige Tradition, wie eine Schenkung von Otto III. an das – heute noch sehenswerte - Kloster Memleben beweist. Im magischen Dreieck von Genuss, Kultur und Aktivität bietet die Region zahlreiche Möglichkeiten.

 

Kultur- und Weinfreunden fallen bei Saale-Unstrut zuerst Naumburg und Freyburg ein. Natürlich ist die UNESCO-Welterbestätte Naumburger Dom mit der schönen Stifterfigur Uta die touristische Attraktion Nr. 1 in der Region. In Naumburg strahlt aber auch der Marktplatz in neuem Glanz. Wenn sie nach viel Kultur Hunger und Lust auf ein Gläschen heimischen Wein haben, kehren sie im Gasthof Zufriedenheit ganz in der Nähe des Doms ein. Dort werden sie neben hochwertigen Speisen auch eine gut sortierte Weinkarte mit heimischen Gewächsen vorfinden. Um die Naumburger Weinberge zu sehen, fährt man am Besten in den Vorort Roßbach. Dort beginnt die sogenannte Weinmeile. Entlang der Spitzenlage Naumburger Steinmeister und der Saale reiht sich Weingut an Weingut in Richtung Bad Kosen.

 

Nach kurzem Spaziergang erreicht man das Weingut von Matthias Hey, dem Senkrechtstarter der Region. Das jüngste VDP-Mitglied von Saale-Unstrut erzeugt überzeugende Rieslinge und Weißburgunder. Den Einstieg ins weiße Sortiment aus 2019 bildet beim Weingut Hey die Cuvée „Weißer Hey“, die aus Riesling, Silvaner und Weißburgunder assembliert wurde. Ein süffiger Gutswein, der mit saftiger Frische, Struktur und Eleganz überrascht.

 

Entlang der VDP-Pyramide probieren wir nun die trockenen Rieslinge in der Vinothek des schmucken Gutsgebäudes. Der Naumburger Ortswein zeigt sich feingliedrig mit Aromen nach weißen Blüten und Pfirsich. Erstes Highlight im Sortiment beim Weingut Hey ist der Riesling aus dem Naumburger Sonneck. Der elegante Riesling aus der 1. Lage überzeugt mit typischer Würze aus dem Buntsandstein. Ein ausdrucksstarker Riesling mit Noten nach Apfel und reifer Birne. Gute Harmonie aus Säure und Frucht. Eindeutiger Spitzenriesling ist aber das 2019er Große Gewächs aus dem Naumburger Steinmeister. Die am Weingut gelegene Steillage besteht primär aus Muschelkalk. Der straffe, im Holz ausgebaute Riesling verfügt über salzig-würzige Mineralität und schlanke Eleganz.  

 

Bei den weißen Burgunder-Weinen beginnen wir mit dem Ortswein Naumburger Weißburgunder des Weinguts Hey. Dezente Frucht und herbe Frische bilden einen guten Einstieg. Es folgen zwei Grauburgunder. Zunächst der 2019er aus dem Naumburger Sonneck. Der durch Maischegärung leicht kupferfarbene Burgunder aus der 1. Lage überzeugt mit komplexem Volumen, rauchiger Würze und vielschichtigen Fruchtaromen. Der Sonneck ist ein ausgezeichneter Grauburgunder, der sogar dem Großen Gewächs aus dem Naumburger Steinmeister Paroli bieten kann. Der ebenfalls kupferfarben schimmernde Steinmeister wirkt kräftig mit Opulenz und Würze. 

 

Favorit bei den weißen Burgundern des Weinguts Hey ist das 2019er Große Gewächs Weißburgunder aus dem Naumburger Steinmeister. Feine Eleganz gepaart mit subtilen Aromen nach Aprikose und Birne. Unaufgeregte Eleganz und herbe Frische sind gelungene Ausprägungen dieser Toplage. Das Weingut Hey ist sicher einer der Spitzenbetriebe in Saale-Unstrut.

 

Wandert man weiter, gelangt man zum Landesweingut Kloster Pforta, das mit der Weinbaugeschichte der Region eng verbunden ist. Die Vinothek steht auf der anderen Saale-Seite am Eingang zur Klosteranlage. Dieses weitläufige Kleinod sollte unbedingt besichtigt werden.

 

Bei einem Bericht über Naumburger Wein darf Altmeister Andre Gussek nicht fehlen. Der frühere Kellermeister des Landesweinguts Kloster Pforta hat sich 2002 selbstständig gemacht. Sein Weingut verfügt seit Jahren über schöne Rieslinge und Weißburgunder. Ein Paukenschlag war 2020 der Sieg beim Deutschen Rotweinpreis von Vinum mit einem Zweigelt. Damit sind auch die Rotweine des Anbaugebiets in den Blickpunkt gerückt. Bei aller Sortenvielfalt kristallisieren sich bei Gussek wie im gesamten Anbaugebiet Spätburgunder und Zweigelt als qualitative Spitzen im roten Segment heraus.

 

Wenn Naumburg die Kultur-Hauptstadt der Region ist, dann gebührt Freyburg sicher der Titel der Wein-Hauptstadt. Das liegt nicht nur an der Sektkellerei Rotkäppchen, die ihren Sitz in dem beschaulichen Städtchen hat. Der größte deutsche Sekthersteller ist mit der sehenswerten historischen Kellerei auf jeden Fall eine Besichtigung wert. Natürlich müssen 200 Millionen Flaschen jährlich in erster Linie im Basissegment abgesetzt werden. Mit einem Jahresumsatz von über 1 Mrd. Euro ist Rotkäppchen ein bedeutender Wirtschaftsfaktor in Freyburg.

 

Die gleichfalls in Freyburg ansässige Winzervereinigung Freyburg-Unstrut deckt etwa die Hälfte der Rebflächen im gesamten Anbaugebiet ab. Damit leistet sie nicht nur einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt der von Steillagen geprägten Kulturlandschaft. Durch die Bewirtschaftung des Herzoglichen Weinbergs am Fuße des sehenswerten Schlosses Neuenburg präsentiert sie mit dem schmucken Winzerhäuschen ein markantes Postkartenmotiv für die gesamte Region. Aber auch qualitativ erzeugt die Vereinigung z. B. in ihrer Werkstück-Linie gekonnte Weine wie die Burgunder-Rarität Auxerrois. 

   

Das richtige „Basislager“ für Wein-Interessierte ist in Freyburg das neue Weinhotel Freylich-Zahn. Ein früheres Industrie-Gebäude hat die Winzerfamilie Zahn gekonnt in ein Hotel mit 26 Zimmern umgebaut. In der integrierten Weinbar und dem hervorragenden Restaurant Eat 51 erhält der genießer einen guten Überblick über die Weinregion, zumal die Weine zahlreicher Winzer offen in „Versuchsportionen“ angeboten werden. Das Hotel führt die Weine der noch jungen Winzergruppe Breitengrad 51, die sich als Speerspitze des Gebiets versteht. Und diese Aktivitäten zeigen erste Erfolge. Nach und nach tauchen überregional immer neue Namen aus dem Anbaugebiet Saale-Unstrut auf. Zu nennen sind hier etwa die Weingüter Klaus Böhme, Böhme und Töchter, Zahn, Born und Grober-Feetz.

 

In keiner Reportage über den Weinbau an Saale-Unstrut fehlen Bilder von den Steillagen an der Unstrut mit den Trockenmauern und den zahlreichen Winzerhäuschen. Diese Idylle zwischen Freyburg nach Zscheiplitz lässt sich auf dem Schweigenberg-Rundweg erwandern. Dieser Weg führt oberhalb der Rebanlagen mit herrlichen Ausblicken zu der ehemaligen Klosteranlage Zscheiplitz. Auf dem Rückweg kann der Wanderer in den Rebhängen die häufig neu angelegten Querterrassen und die gepflegten Winzerhäuschen bestaunen. Eine Kulturlandschaft, die unbedingt in ihrem Charakter erhalten werden muss.

 

Aus vinologischer Sicht ist der Aufenthalt in Zscheiplitz der Höhepunkt der Wanderung. Nach Besichtigung der Klosterkirche und des Aussichtsturms ist für Weinfreunde eine Weinprobe im Weingut Pawis ein Muss. Bernard Pawis hat den von seinen Eltern gegründeten Betrieb mit unermüdlichem Fleiß an die Spitze des Anbaugebiets geführt. Über Jahre war das VDP-Mitglied Pawis der bundesweit einzige bekannte Betrieb von Saale-Unstrut. Erfreulich ist, dass inzwischen bereits die nachfolgende Generation in den Betrieb eingestiegen ist und schon Akzente setzt. Mit dem Erwerb und der aufwändigen Sanierung wesentlicher Teile der Klosteranlage Zscheiplitz leistete der Winzer einen großen Beitrag zum Erhalt der Kulturlandschaft im Unstrut-Tal. Aber bei einem Weingut geht es ja primär um gute Weine:

 

Zum Einstieg verkosten wir einen süffigen Müller-Thurgau, der mit seiner typischen Muskatnote eine Lanze für die an Saale-Unstrut noch gut vertretene Rebsorte bricht. Bei den Rieslingen arbeitet Pawis im Gutsweinbereich gekonnt die Terroir-Unterschiede heraus. Unter den gelungenen, würzigen Rieslingen aus Muschelkalk, Quarzit und Buntsandstein ragt der Buntsandstein mit ausgeprägter Mineralität und Fruchtnoten nach Apfel und Pfirsich hervor. Eine deutliche Steigerung bringt der Riesling aus dem Freyburger Edelacker „R 736“. Der kernige Riesling wird aus einer Steillage mit 736 Stufen gewonnen und zeigt eine feinfruchtige Komplexität mit schönen Fruchtnoten nach Aprikose und Äpfeln. Zu erwähnen sind auch die beiden Weißburgunder aus dem Zscheiplitzer Himmelreich mit nussigen Aromen und aus dem Freyburger Edelacker mit satten Vanille-Noten. Die Großen Gewächse waren leider schon vergriffen. Im roten Bereich sind die beiden Zweigelt zu nennen. Die einfache Variante mit schönen Brombeere- und Pflaume-Noten ist derzeit zugänglicher als die Barrique-Ausführung vom Freyburger Edelacker. Insgesamt stellt Bernard Pawis eine überzeugende Kollektion mit klaren Vorteilen beim Riesling vor.

 

Nach einer Stärkung im guten Restaurant Pretzsch in Zscheiplitz mit einer breiten Auswahl einheimischer Weine (z. B. von Klaus Böhme) kommt der Wanderer auf dem Rückweg unterhalb der Reb-Terrassen nach Freyburg an den Reben des Weingute Böhme und Töchter vorbei. Die Weine dieses Weinguts sind eine positive Überraschung. Weißburgunder, Grauburgunder, Chardonnay und Riesling überzeugen auf hohem Niveau. Ein Name aus Saale-Unstrut, den man sich unbedingt merken sollte.  

 

Die Region Saale-Unstrut verfügt über attraktive Angebote für weinaffine Urlauber. Neben den Leuchttürmen Pawis, Hey und Gussek legen immer mehr private Weingüter zu. Der qualitative Schwerpunkt des Anbaugebiets liegt beim Weißwein. Riesling aber auch Weißburgunder können auf breiter Front überzeugen. Die touristische Infrastruktur ist vorhanden, könnte aber im gehobenen Segment noch zulegen. Die Region verfügt kulturell über weitgehend unentdeckte Kleinode. Für sportliche Aktivitäten wie Wandern, Radfahren oder Paddeln gibt es zahlreiche Möglichkeiten.

Fazit: Koffer packen und auf nach Saale-Unstrut 

 

Wein-Impressionen von Manfred Beismann, August 2021