Weinreise ins Lavaux und zum Chasselas (August 2022)

 

Die Weinberg-Terrassen des Lavaux am Genfer See sind UNESCO-Weltkulturerbe. Die besten Chasselas aus der Region werden als Grand Cru vermarktet. Wieso ist die Weinregion Lavaux und die Rebsorte Chasselas in Deutschland dennoch nahezu unbekannt?

 

Die Gründe sind einfach: Die Schweiz verfügt nur über 15.000 Hektar Rebfläche; davon liegen wiederum lediglich 800 Hektar im Lavaux. Von den Schweizer Weinen werden nur 1 bis 2 Prozent ins Ausland exportiert. Das Preisniveau ist gerade im Basisbereich vergleichsweise hoch.

 

Trotzdem ist eine Reise an den Genfer See sehr zu empfehlen. Allein der See mit seinem Farbenspiel ist eine Reise wert. Die Städte Lausanne mit dem Olympischen Museum oder Montreaux mit seinen Musik-Festivals sind magische Anziehungspunkte. Auch das am See gelegene Schloss Chillon ist ein Besuchermagnet. Die UNESCO hat aber erkannt, was die bedeutendsten „Schätze“ der Region sind: Die zwischen Lausanne und Montreaux liegenden Terrassen-Weinberge des Lavaux. Die imposanten Steinterrassen wurden ab dem 12. Jahrhundert von Zisterzienser-Mönchen angelegt und werden seither von überwiegend privaten Eigentümern gepflegt.

 

Die atemberaubenden, steilen Terrassen sind zu 80 Prozent mit Chasselas bestockt. Diese Weißweinsorte ist in Deutschland unter dem Namen Gutedel bekannt. Die deutschen Gutedel primär aus dem Markgräflerland sind häufig süffige Vesper-Weine. Gutedel sind meist eher leicht und dezent, haben wenig Säure und eine blassgelbe Farbe. Winzer wie Hans-Peter Ziereisen haben aber auch im Markgräflerland unter Beweis gestellt, dass aus Chasselas/Gutedel stoffige, hochwertige und langlebige Weine hergestellt werden können. Aktuell erfährt der Gutedel in Deutschland eine Renaissance.  

 

Der Chasselas aus dem Lavaux ist kein lauter Selbstdarsteller, sondern ein leiser Genosse. Wer genau „hinhört“, ergründet in dem Wein eher subtile Noten. Im Lavaux entstehen durch entsprechenden Ausbau und die besondere Lage am See anspruchsvolle Weine mit gelber Frucht, Dichte und Würze. Bei den Grand-Cru-Lagen wie Calamin und Dezaley kommt eine tiefgründige Komplexität aus der Mineralität des Bodens hinzu. Die unterschiedliche Geologie führt zu schmeckbaren Unterschieden der Chasselas-Weine.

 

Der Chasselas ist ein idealer Speisebegleiter, der nicht versucht, die Speisen zu dominieren. Passend zu Salaten, Pasta-Gerichten, Fisch, hellem Fleisch, Geflügel oder Käse ist er variabel einsetzbar.

 

Um die Weinberg-Terrassen des Lavaux optisch zu erkunden, darf man sich nicht auf eine Perspektive beschränken: Eine sehr spektakuläre Ansicht bieten die Lavaux-Terrassen vom See. Bei einer Schifffahrt zwischen Lausanne und Montreaux erhält man einen wunderbaren Überblick über die Weinorte und die herausragenden Lagen. Wie Perlen an einer Schnur ziehen die berühmten Lagen langsam vorüber. Die nächste Sicht ist von den Bergen, die man am einfachsten mit Zahnradbahnen erreicht (Rochers de Naye, Mont Pelerin).

 

Unbedingt sollte man Verkostungen in den „Bergdörfern“ auf der Halbhöhe der Terrassen genießen. Hierzu ziehen sich über viele Kilometer Wirtschaftswege hoch über dem See parallel zum Ufer, die - natürlich auch in Abschnitten - erwandert werden können. Die Weinbauorte wie das mittelalterliche St. Saphorin sind über das S-Bahnnetz oder Busse hervorragend angebunden.

Weinproben können im Lavaux in Restaurants, in Vinotheken oder natürlich direkt bei den Winzern genossen werden. An exponierten Punkten haben die Winzer auch Probierstände positioniert. Hier einige empfehlenswerte Tipps für guten Weingenuss im Lavaux:

 

-        Weinbar 11 Terres (Epesses)

Elf Winzer aus dem spektakulär gelegenen Weindorf Epesses schenken in der Weinbar 11 Terres ihre Weine aus. Das offene Angebot wechselt wöchentlich. Bei der Verkostung einer Auswahl an Weinen lernt man das breite Spektrum des Chasselas näher kennen. Es werden noch andere weiße Rebsorten (Riesling, Chenin Blanc) und Rotweine (z. B. Pinot Noir, Gamay, Gameret, Merlot) angeboten. Dazu gibt es kleine Snacks wie Käse-Stangen, Wurst- oder Käseplatten.

 

-        Weinbar Vinorama (Rivaz)

 

Eine Gebietsvinothek, das Vinorama, liegt unten am See in der Nähe von Rivaz. Spektakulär zu erreichen ist das Vinorama bei einer Wanderung von Epesses durch die Grand-Cru-Lage Dezelay, einen Abstieg entlang eines Wasserfalls und über steile Metall-Treppen direkt in die Vinothek. Das Vinorama bietet Weine von 140 der 200 Weingüter des Lavaux an. Das umfangreiche Weinangebot wird regelmäßig aktualisiert. Ein mehrsprachiger Film führt in die Weinregion ein. Neben Weinproben werden auch geführte Wanderungen in die Rebanlagen angeboten. Natürlich kann man die verkosteten Weine im Vinorama auch erwerben.

 

-        Restaurant A La Demi Lune (Chardonne)

 

Die Restaurants der Region bieten meist eine ausgedehnte Weinkarte vorwiegend mit regionalem Chasselas an. Vorteile des Demi Lune in Chardonne sind die angegliederte Weinbar und die ganztägigen Öffnungszeiten. Die raffinierte Küche des Restaurants hat auch der Gault Millau entdeckt. Für Schweizer Verhältnisse hat das Restaurant ein ausgezeichnetes Preis-/Genuss-Verhältnis. Am besten setzt man sich auf die Terrasse mit wunderbarer Höhen-Aussicht über den See und bestellt ein Menu mit begleitenden Weinen. Und schon geht die Weinreise los. Im Vordergrund stehen natürlich Weine aus Chardonne.  

 

-        Auberge de Vignerons (Epesses)

 

Die Spitzenrestaurants in den „Bergdörfern“ wie Epesses, Riex oder Grandvaux sind regelmäßig gut besucht. Eine Reservierung ist dringend angeraten. Die Auberge de Vigneron in Epesses hat eine ruhige Terrasse mit wunderbarem Blick über den Genfer See. Eine ausgezeichnete Küche bildet die Grundlage für einen ausgedehnten Weingenuss. Auf der umfangreichen Weinkarte sind bekannte und weniger bekannte Winzer aus der Region vertreten. Zu empfehlen sind Weine von Lokalmatador Luc Massy (Clos duBoux).

 

-        Domaine Croix Duplex (Grandvaux)

 

Höhepunkt einer Weinreise sind natürlich Verkostungen direkt beim Winzer. Die Besuchszeiten für Einzelbesucher oder Gruppen sollten vorab abgeklärt werden. Das Lavaux ist Teil des zweitgrößten Schweizer Weinkantons Waadt mit 3.800 Hektar Rebfläche. Aus dem Waadt stammen etwa 30 der beschriebenen 200 Spitzenweingüter im Vinum Weinguide Schweiz 2022. Eines dieser Spitzenweingüter ist die 1929 gegründete Domaine Croix Duplex. Das 27 Hektar große Weingut wird aktuell von den Geschwistern Maude und Simon Vogel geleitet. Eine ausgedehnte Weinprobe auf der phantastisch hoch über dem See gelegenen, großen Terrasse ist ein einzigartiges Erlebnis. Das Weingut besitzt 14 verschiedene Rebsorten. An der Spitze – wie sollte es anders sein – zehn verschiedene Chasselas. Die Spitzengewächse haben in den letzten Jahren renommierte Preise gewonnen.

 

Der Genfer See ist zusammen mit den umrahmenden Bergen und den spektakulären Weinberg-Terrassen ein Gesamtkunstwerk. Die Aufnahme der Weinberg-Terrassen ins UNESCO-Weltkulturerbe trug maßgeblich dazu bei, den Siedlungsdruck der angrenzenden Großstädte Lausanne, Montreaux und Vevey zu bremsen. So kann die Jahrhunderte alte Kulturlandschaft dauerhaft erhalten werden. Das Lavaux ist und bleibt damit eine der schönsten Weinlandschaften in Europa. Es ist eine verkehrstechnische Meisterleistung auf diesem schmalen Küstenstreifen zwei Bahnlinien, drei Straßenlinien (darunter eine Autobahn) und dazwischen Bewirtschaftungs- und Wanderwege unterzubringen, die den Gesamteindruck und die Ruhe nur minimal stören. In der Schweiz gibt es bei der Verkehrsplanung offenbar nur Ziele, keine Hindernisse. Im Bedarfsfall wird ein Tunnel gebohrt oder eine Brücke gebaut. Weinfreunde brauchen im Lavaux nicht unbedingt ein Auto, weil in der Region ein dichtes ÖPNV-Netz besteht und die Schweizer Bahn eine sagenhafte Pünktlichkeit aufweist.

 

Die Lavaux-Winzer haben in den Steillagen zukunftsfähige Betriebsbedingungen. Der Schwerpunkt auf der Rebsorte Chasselas gibt ihnen am Markt eine Ausnahmestellung. Die Fokussierung auf Qualitätsweinbau und gehobenen Individualtourismus scheint sich zu bewähren. Die teilweise seit Jahrhunderten ansässigen Wein-Dynastien dürften auch in Zukunft eine ausreichende Lebensgrundlage haben. Solange Reisende bereit sind, für dieses Gesamtkunstwerk angemessene Preise zu zahlen, dürfte das Wein-Paradies gesichert sein.

Also heißt die Devise: Fahren Sie ins Lavaux, besuchen Sie die Restaurants und die Winzer. Und vor allem: Trinken Sie Chasselas!  

 

Wein-Impressionen von Manfred Beismann, August 2022