Weingut Künstler, Hochheim (Rheingau)
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Gunter Künstler: Der Interpret des Rheingau-Rieslings
Frühjahrspräsentation 2025 im Rheingauer VDP-Weingut Künstler in Hochheim: Gunter Künstler hat die Weingüter Markus Molitor (Mosel) und Schloss Gobelsburg (Kamptal, Österreich) als Gastwinzer eingeladen. Es dürfte kein Zufall sein, dass die Betriebsleiter der drei beteiligten Weingüter Persönlichkeiten sind, die prägend für ihre jeweilige Weinregion sind.
Matthias Moosbrugger hat das Weingut Schloss Gobelsburg mit seiner 850-jährigen Tradition zurück an die Spitze der Kamptaler Weingüter geführt. Mit der architektonisch imposanten Kellererweiterung in Form eines unterirdischen Kreuzgangs hat sich Moosbrugger in der österreichischen Weinkultur unsterblich gemacht. In Hochheim präsentierte das Weingut primär eine Reihe Grüner Veltliner, allen voran aus der Parade-Riede Lamm.
Markus Molitor hat aus kleinen Anfängen in Jahrzehnten ein unvergleichliches Lagenportfolio an der Mosel aufgebaut. Die Verkostung eines kompletten Jahrgangs im Weingut Molitor stellt selbst geübte Weingenießer vor eine Herausforderung, die man ob der Qualität der Weine gern in Kauf nimmt. Sein jüngstes Projekt, die Restaurierung der ehemaligen Staatsdomäne Serrig an der Saar, biegt langsam in die Zielgerade ein. Die Saar-Rieslinge werden bereits hochpreisig am Place de Bordeaux gehandelt. In Hochheim präsentierte das Weingut Molitor an der Spitze eine herausragende 2018er Riesling Auslese*** aus dem Zeltinger Himmelreich.
Somit bleibt der Hausherr der Präsentation, Gunter Künstler. Wenn heute über hochwertigen Rheingau-Wein geredet wird, liegt es an Gunter Künstler, dass nicht nur Rhein-Rieslinge, sondern auch Main-Rieslinge thematisiert werden.
Diese Spitzenstellung war Gunter Künstler nicht in die Wiege gelegt. Zwar betrieben seine Vorfahren bereits seit Jahrhunderten Weinbau. Ihre Heimat war jedoch in Süd-Mähren (heute Tschechien). Gunters Vater, Franz Künstler, wurde nach dem 2. Weltkrieg enteignet und vertrieben. Nur mit einem Koffer landete Franz Künstler in Hochheim, wo er zunächst als angestellter Gutsverwalter arbeitete. 1965 gründete Franz Künstler sein eigenes Weingut in Hochheim und feierte schnell Erfolge. Sein Sohn Gunter schloss 1988 sein Weinbau & Önologie-Studium an der Hochschule Geisenheim ab. 1992 übernahm Gunter Künstler das Weingut von seinem Vater. Der Betrieb wurde 1994 in den VDP aufgenommen.
In den Anfängen des Weinguts wurden die Weinverkäufe noch im Wohnhaus der Familie Künstler abgewickelt. Seit 2006 befindet sich der Betrieb im denkmalgeschützten, 1837 erbauten Gebäude der ehemaligen Sektkellerei Burgeff. Nicht unerwähnt dürfen die gastronomischen Angebote im Gebäudekomplex mit einem Spitzen-Restaurant und dem Gutsausschank bleiben.
Das Weingut Künstler erweiterte seit Betriebsgründung sukzessive seine Rebfläche. Heute bewirtschaftet das Weingut 65 Hektar Weinberge, darunter in mehr als 10 Großen Lagen. Über 20 Hektar der Großen Lagen befinden sich am Main in Hochheim (Hölle, Reichestal, Kirchenstück, Domdechaney) und Kostheim (Weiss Erd). Der unermüdliche „Wein-Nerd“ Gunter Künstler nutzte über die Jahrzehnte Gelegenheiten, Spitzenlagen im gesamten Rheingau zu übernehmen, z. B. Erbacher Marcobronn, Hattenheimer Pfaffenberg, Rüdesheimer Berg Rottland, Roseneck und Schlossberg sowie Assmannshäuser Höllenberg. Damit hat Gunter Künstler ein sagenhaftes Lagenportfolio im gesamten Rheingau angesammelt. Das Weingut hat 80 Prozent Riesling und 15 Prozent Spätburgunder im Sortiment.
Vom Main aus liegen die Kostheimer und Hochheimer Weinlagen - getrennt durch die Autobahn - wie an einer Perlenschnur aufgereiht: Von der Kostheimer Weiss Erd zu den Hochheimer Lagen Reichestal, Stielweg, Domdechaney, Kirchenstück und Hölle. Verblüffend ist wie unspektakulär die nur sanft ansteigenden Rebflächen unterhalb der weithin sichtbaren Hochheimer Kirche Peter und Paul liegen. Die Lagennamen Domdechaney und Kirchenstück verweisen auf die früheren kirchlichen Eigentümer, das Mainzer Domkapitel. Hochheim war bis ins 13. Jahrhundert im Besitz des Kölner Domkapitels. 1273 verkaufte Köln Hochheim an das Mainzer Domkapitel.
Bei der Jahresverkostung bot das Weingut Künstler aus seiner umfangreichen Kollektion auch Spätburgunder, restsüße Rieslinge und andere Rebsorten an. In dieser Darstellung beschränken wir uns auf die trockenen Rieslinge:
- Guts-/Ortswein
Schon der saftige Guts-Riesling aus 2024 lässt die Stilistik des Weinguts Künstler erkennen. Fruchtiger Riesling-Genuss mit prägnanten Pfirsich- und Aprikosen-Aromen. Es folgen die Ortsweine aus Hattenheim mit eher erdiger und stoffiger Textur sowie die Hochheimer Mainterrassen mit Pfirsich-Noten und mineralischem Hintergrund.
- 1. Lage
Insgesamt sechs trockene Main-Rieslinge aus 1. Lagen stellt Gunter Künstler bei der Jahrespräsentation vor:
o Flörsheimer Herrnberg
Der Flörsheimer Herrnberg aus 2023 ist ein geradliniger Riesling mit straffer Frucht.
o Hochheimer Kirchenstück „Im Stein“
Das Hochheimer Kirchenstück „Im Stein“ verkörpert die typische Stilistik eines Main-Rieslings mit zarter Frucht bei stoffiger Textur.
o Hochheimer Hölle „Im Neuenberg“
Die Paradelage Hölle „Im Neuenberg“ der Jahrgänge 2022 und der 2023er bringt noch einmal einen Qualitätssprung. Strahlender Ausdruck mit fein gewobener Mineralität. Dazu komplexe Fruchtaromen nach Äpfeln und Birnen. Klare Kaufempfehlung!
o Hochheimer Stein
Der Hochheimer Stein aus dem kühlen Jahrgang 2021 zeigt Frische und animierende Säure. Herrliche Citrus- und Limetten-Aromen.
o Hochheimer Stielweg „Alte Reben“
Der 2023er Hochheimer Stielweg ist ein vielschichtiger Riesling mit Schmelz und komplexen Fruchtnoten.
o Hochheimer Domdechaney
Der Charakter-Riesling unter den 1. Lage-Weinen ist der 2022er Domdechaney. Markant und kraftvoll hat der Riesling Power und abwechslungsreiche Frucht- und Blüten-Aromatik.
- Große Lage (Große Gewächse)
Im Top-Segment stellt Gunter Künstler sieben Große Gewächse aus verschiedenen Jahrgängen vor. Wunderbar herausgearbeitet ist die Lagentypizität, die die Unterschiede der Main-Rieslinge und der Rhein-Rieslinge schmeckbar machen:
o Kostheimer Weiss Erd
Die von Gunter Künstler „entdeckte“ Lage überzeugt mit einer individuellen Charakteristik. Der Weis Erd aus 2021 weist eine eigene cremige Textur auf. Deutliche Frucht- und Kräuter-Aromen.
o Hochheimer Kirchenstück
Freunde reifer Rieslinge sollten unbedingt das 2018er Hochheimer Kirchenstück in ihren Keller legen. Wunderbar rund und saftige Raffinesse ohne jegliche Alterungsnoten. Tänzelnde, hoch feine Fruchtaromen wie Limette, Aprikose und Pfirsich sowie ein leicht vegetabiler Touch. Mein Liebling unter den Main-Rieslingen.
o Hochheimer Hölle
Die bekannteste Main-Lage des Weinguts Künstler ist die Hochheimer Hölle. Das GG aus 2022 zeigt Komplexität und Dichte. Feine Fruchtaromen nach Pfirsich und Aprikose. Daneben florale und kräutrige Noten. Feine Struktur und animierende Säure enden in einem langen Abgang.
o Rüdesheimer Berg Roseneck
Deutlich unterschiedlich sind die Rüdesheimer GGs wie der Berg Roseneck aus 2021. Feingliedrige Mineralität mit pikanten Citrus-Noten und etwas Rosenholz.
o Rüdesheimer Berg Rottland
Der Rüdesheimer Berg Rottland aus 2022 zeigt eine straffe Mineralität. Enorme Kraft und geradlinige Säure. Vielschichtige Fruchtnoten wie Mandarine und Orangenzeste.
o Hattenheimer Pfaffenberg
Eine positive Überraschung war das 2021er GG aus dem Hattenheimer Pfaffenberg. Unheimliche Tiefe. Ausgeprägte Mineralität. Vielschichtig und differenziert in der Fruchtausprägung wie Limette, Mandarine. Etwas Minze.
o Erbacher Marcobrunn
Ein Riesling-Monument ist der 2021er Erbacher Marcobrunn, der mit seiner erdigen Kraft und imposanten Tiefe in sich zu ruhen scheint. Komplexe Mineralität, Spannung und Opulenz.
Selten erschließt sich einem Weingenießer bei der Jahrespräsentation eines einzelnen Weinguts eine ganze Weinregion wie unter dem Brennglas. Während die Rhein-Rieslinge des Rheingaus durch ihre Mineralität und Tiefe punkten, besitzen die Main-Rieslinge eine zarte Verspieltheit und wunderbar feine, aber expressive Frucht.
Gunter Künstler verweist in seinen Weinproben zwar darauf, dass bei großen Weinen nicht der Winzer, sondern die Weinlage der Star sei. Es bedarf aber immer eines feinfühligen, akribisch agierenden Winzers, um aus großen Lagen auch große Weine zu machen. Wahre Könner erkennt man im Winzerhandwerk daran, dass bei derselben Rebsorte eine differenzierte Lagentypizität herausgearbeitet wird. Und aktuell vollbringt dieses Kunststück bei Main-Rieslingen niemand in dieser Perfektion wie Gunter Künstler. Und dass der Sohn eines Vertriebenen in der Nachfolge seines Vaters die „Seele des Rheingau-Rieslings“ aus seinen Rebflächen vermitteln kann, hat gerade in der aktuellen Diskussion über Flucht, Vertreibung und Migration etwas Hoffnungsvolles. Gunter Künstler ist der große Interpret des Rheingau-Rieslings.
Kontaktdaten
Weingut Künstler
Geheimrat-Hummel-Platz 1a
65239 Hochheim am Main
Tel.: 06146 7335
Mail: info@weingut-kuenstler.de
Internet: www.weingut-kuenstler.de
Weingutportrait von Manfred Beismann, Mai 2025