Weingut Vincon-Zerrer, Oberderdingen-Großvillars (Württemberg)

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Gibt es ein Winzer-Gen? Um uns dieser Frage zu nähern, machen wir eine kleine Reise vom Piemont über das Remstal bis nach Oberderdingen-Großvillars im badisch-schwäbischen Grenzgebiet:

 

Ende des 17. Jahrhunderts wanderten die Vorfahren der Waldenser-Familie Vincon aus dem damals noch französischen Piemont nach Württemberg aus. Als Glaubensflüchtlinge konnten sich die Waldenser damals in Großvillars ansiedeln. Hört man heute das Wort Piemont, denkt man unwillkürlich an Barolo und hochwertige Rotweine. Die Liebe zum Wein muss in den Genen der Vincons fest verankert gewesen sein, kaufte doch der Nachfahre Johann Heinrich Vincon 1863 seinen ersten Weinberg in der neuen Heimat. Im nächsten Jahrhundert lernte ein junger Remstäler Winzersohn an der Weinbauschule Weinsberg eine Nachfahrin unserer Waldenser-Familie Vincon kennen und lieben. Aus dem Remstal stammen bekanntermaßen die besten württembergischen Winzer wie Aldinger, Schnaitmann und Haidle. Aus der Heirat der beiden Weinsberg-Absolventen entstand 1989 das Weingut Vincon-Zerrer in seiner heutigen Form. Der Betrieb wurde 2013 bio-zertifiziert.

 

Seit 2017 hat nun Junior Benjamin Zerrer das inzwischen elf Hektar große Weingut übernommen. Mit seiner Ausbildung im Zabergäu beim ebenfalls von Waldensern abstammenden Lemberger-Guru Rainer Wachtstetter bringt der Youngster beste Voraussetzungen für die Rotweinbereitung mit. Der Jungwinzer gibt mit Unterstützung seiner Schwester Carina im Weingut mächtig Gas. Ab dem Jahrgang 2018 vergärt Benjamin Zerrer seine veganen Weine komplett spontan. Und so kommen wir mit den Jahrgängen 2018 und 2019 gerade richtig, um die positive Entwicklung des Weinguts im Glas erschmecken zu dürfen:

 

-          Sauvignon Blanc

Der in der Lage Bergwald auf Gipskeuper und Schilfsandstein gewachsene 2019er Gutswein ist bereits in der Nase unschwer als Sauvignon Blanc zu erkennen. Der herbe Weißwein „überfällt“ den Genießer mit expressiven Noten nach Stachelbeeren und Brennesseln. Am Gaumen folgen ein überraschend voller Körper und eine stoffige Textur. Zu Stachelbeeren und Brennesseln gesellen sich jetzt noch subtile Noten nach Orangenabrieb, Litschi und ganz fein Maracuja. Schöne Balance und äußerst schluckig. Perfekter Speisebegleiter zu Fisch und Gemüsegerichten. Für eine Einstiegsqualität ein überzeugender Wein.

In der Nase eher leise kommt der blassgelbe 2019er Terroir-Wein vom Gipskeuper daher. Nur sanft angedeutete exotische Fruchtnoten. Der im Holzfass und im Stahltank ausgebaute Sauvignon Blanc überzeugt durch die mineralische Typizität des Gipskeupers und die harmonische Ausgewogenheit. Durch die Spontangärung erhält der Sauvignon vom Bergwald eine belebende Strahlkraft und straffen Grip. Am Gaumen dezent Stachelbeere und Mirabelle. Eindeutig mehr Sancerre als Neuseeland. Als Speiseempfehlung einigen wir uns auf Lauch-Risotto mit fein gemahlenem Serrano-Walnuss-Crunch und Pecorino-Käse. Ein feiner und eleganter Wein.

 

-          Riesling

Der Gutsriesling aus 2019 leuchtet goldgelb mit grünen Reflexen. Er stammt aus dem Gewann Bergwald mit Gipskeuper und Schilfsandstein. Der feingliedrige Riesling wurde sechs Monate auf der Feinhefe gelagert. In der Nase stechen Apfelnoten hervor. Auch am Gaumen dominiert grüner Apfel, dazu kommen etwas Stachelbeere und reifer Pfirsich. Rassige, aber weiche Säure, die typisch für württembergische Rieslinge ist. Eher breit als spitz. Mit nur 12 Prozent Alkohol wirkt der Riesling kippfreudig und ist angenehm zu trinken.

Der Terroir-Riesling ist noch aus dem Sonnenjahrgang 2018. Der auf Schilfsandstein gewachsene Riesling zeigt kräftiges Goldgelb. In der Nase Fruchtaromen nach Pfirsich. Am Gaumen schöne Fülle und dichte Struktur, die auf den teilweisen Holzausbau zurückzuführen ist. Wieder Noten nach Pfirsich und im weiteren Verlauf Karamell. Die weiche Säure bleibt bei dem voluminösen Riesling eher im Hintergrund. Vielschichtige Substanz, ein Tick Restsüße und gute Länge.

 

-          Weißburgunder 

Der 2019er Weißburgunder vom Löss stammt aus dem Gewann Bergwald, einem Teil des Derdinger Horns. Die von Hand gelesenen Trauben werden teils im Holzfass und teils im Stahltank ausgebaut. Der Burgunder zeigt sich in Goldgelb mit grünlichen Reflexen. In der Nase leicht vegetabil und kräutrig-fruchtige Ausprägung. Der Terroir-Wein zeigt im Mund eine cremige und stoffige Struktur. Am Gaumen erscheinen vielfältige Fruchtaromen, z. B. nach grünem Apfel und gelbem Steinobst. Sehr elegant und vielschichtig mit perfekt eingebundenem Holz. Volles Mundgefühl und schöne Länge. Vielseitig einsetzbarer Speisebegleiter zu Fisch und hellem Fleisch, aber auch zu Gemüsegerichten oder Risotto.

 

-          Spätburgunder

Mit dem 2018er Spätburgunder Gipskeuper gelang nach sechs Wochen auf der Maische, Spontangärung mit eigenen Wildhefen und 18-monatigem Ausbau im Barrique-Fass ein eindrucksvoller Pinot. Der Terroir-Wein aus der Lage Soosberg leuchtet in ganz dunklem Rubinrot. In der Nase Johannisbeere und etwas Rauch. Am Gaumen extrakt-reiche Dichte und komplexe Struktur. Aromen nach Johannisbeeren, Cassis, Holunder und Grafit verbinden sich zu einem vollmundigen Burgunder mit leicht bitteren, aber auch süßen Noten. Kraftvolle Harmonie mit gut eingebundenen Tanninen und immenser Länge.

 

-          Lemberger   

Der 2018er Lemberger ist ein tief dunkler, purpurroter Wein mit violetten Reflexen. Der junge Wein braucht noch etwas Luft und entfaltet dann in der Nase kräftige Aromen nach Veilchen und Eiskonfekt. Am Gaumen zeigt der spontan vergorene Lemberger dann eine dichte, ausgesprochen füllige Struktur. Aufgrund der Jugend noch spürbares Tannin und dezente Holznoten. Wuchtige Noten nach vollreifen Zwetschgen, Amarena-Kirschen, Cassis, Schokolade und schwarzen Brombeeren. Schönes Finish mit langem Nachhall. Ein Power-Wein, der erst am Anfang seiner Entwicklung steht. In dieser Preisklasse ein äußerst interessanter Lemberger.

Der 2018er Lemberger Schilfsandstein durchlief nach der Handlese sechs Wochen Maischegärung und wurde mit eigenen Wildhefen spontan vergoren. Die Reife dauerte 18 Monate im alten und neuen Barriquefass. Der Lemberger wurde ohne Filtration abgefüllt. Der füllige Rotwein fließt in dichter, rot-violetter Farbe ins Glas. In der Nase saftige Zwetschge und etwas Schokolade. Am Gaumen zeigt der Terroir-Wein robuste Tannine und eine spannungsreiche Säurestruktur. Vielschichtige Aromen nach vollen Blaubeeren, reifen Zwetschgen, schwarzen Kirschen, einem Hauch Holunder und diversen Gewürzen. Trotz hoher Dichte und komplexer Mehrdimensionalität entwickelt der Lemberger eine frische Trinkfreude und einen Anklang von Fruchtsüße. Lange haftend und enormer Nachhall. Der Wein verfügt über ein hohes Alterungspotenzial und wird frühestens in drei Jahren seine optimale Trinkreife erreichen.

 

Eine Lemberger-Offenbarung ist der 2018er aus der Hans & Gloria Collection. Hier wird bewusst auf eine Regulation im Keller verzichtet. Die Gärung verläuft spontan. Schalen und Kerne verbleiben bis zur Füllung im Wein. Schwefel wird nicht zugesetzt. Der Wein reift neun Monate im alten Barrique-Fass und wird unfiltriert abgefüllt.  Der Lemberger Hans & Gloria von Vincon-Zerrer ist auf Schilfsandstein- und Gipskeuper-Böden in den Lagen Bergwald und Soosberg gewachsen. Schon in der geschlossenen Weißglas-Flasche erkennbar, ist seine tiefdunkle, intransparente Farbe. Im Glas entfaltet sich ein leuchtendes Rot mit violetten Reflexen. Die Nase zeigt sich ungezügelt, animalisch und komplex. Aromen nach dunklen Waldbeeren, etwas Grafit und Holunder steigen auf. Danach folgen etwas Schokolade und Pfeffernuss. Am Gaumen ist der Lemberger ungemein vital und dicht. Hoher Extrakt und Komplexität. Dunkle Fruchtnoten nach Brombeeren und Zwetschgen. In der Folge Veilchen, Gewürznelken und Röstaromen. Der vegane Lemberger hat eine straffe Tannin-Struktur, wirkt aber trotz seiner Jugend schon zugänglich und animierend. Die feine Säure sorgt für eine belebende Frische. Gewaltige Mundfülle und Länge. Vor dem geistigen Auge galoppiert ein jugendlicher, muskulös modellierter, schwarzer Rassehengst im herbstlichen Morgennebel durch die Hügel des Strombergs. Er wird dabei viele Klepper und Kaltblüter hinter sich lassen.

 

Eine insgesamt überzeugende Vorstellung des jungen Weinguts mit leichten Vorteilen im roten Segment. Bei den weißen Gutsweinen ist die Sortentypizität gut herausgearbeitet. Die Terroir-Weine setzen mehr auf Mineralität und Eleganz. Die Rotweine haben Fülle und Kraft. Favoriten sind die vitalen Lemberger.

Das Corona-Jahr 2020 ist sicher kein einfaches Jahr für den neu aufgestellten Betrieb. Viele der erfolgreichen Veranstaltungen im Weingut mussten genauso ausfallen wie die Auftritte bei Weinmessen. Der moderne und gut gestaltete Internet-Auftritt des Weinguts setzt sich in interessanten Online-Präsentationen z. B. auf Youtube fort, die eine deutlich größere Resonanz verdient hätten. Im Weinführer Eichelmann hat das Weingut schon im zweiten Jahr eine Einstufung mit 2,5 Sternen erreicht. Vincon-Zerrer hat sicher das Potenzial, zu einem Leitbetrieb im „Niemandsland“ zwischen Stromberg und Kraichgau zu werden. Die Klasse der verkosteten Weine lässt jedenfalls den Schluss zu, dass Benjamin Zerrer ein Winzer-Gen vererbt bekommen hat.

Das Genom ist schnell beschrieben: Piemont + Remstal = Weingenuss aus Großvillars.

 

Kontaktdaten

Weingut Vincon-Zerrer

Heilbronner-Str. 50

75038 Oberderdingen-Großvillars

Tel.: 07045/761

Mail: weingut@vincon-zerrer.de

Internet: www.vincon-zerrer.de

 

Weingutportrait von Manfred Beismann, Dezember 2020